Wer hat das geglaubt? "Bärin macht Norditalien unsicher", verkündete am 14. April eine Schlagzeile in der Zeitung, weil das Tier im Trentino einen Menschen tödlich verletzt hatte. Bis nach Mailand hineingetitelt und darüber hinaus war eine Unsicherheit, die vorwiegend nur Landwirte und Tierhalter einer Region betraf. Der Leserschaft wurde zwar keine Bärin aufgebunden, aber die Überschrift zumindest geografisch aufgeblasen.
Überschriften als Schlüssel zur Aufmerksamkeit
Vielleicht weil Übertreibungen auf diversen Nachrichten-Kanälen abgehärtet haben oder weil hier außer der redaktionellen Glaubwürdigkeit nichts betroffen war, gab es keine Beschwerden zu dieser Überschrift.
Themen in Zuschriften an mich bleiben sie aber: Überschriften, Schlagzeilen oder Titel. Wie man sie auch nennen mag, sie fallen ins Auge. Und in den Redaktionen müssen sie als Schlüssel zur Aufmerksamkeit ebenfalls im Zentrum täglicher Abwägungen stehen, egal ob für das Internet oder die Zeitung.
Zündende Worte in Titeln und Teasern
Dabei stellt das Internet wohl etwas höhere Ansprüche. Auf den Displays ihrer Smartphones müssen sich Leute von Titeln erst mal angesprochen fühlen. Und für notwendiges Wachstum braucht es mehr als jene Nutzer, welche die Online-Angebote bereits abonniert haben.
Zündende Worte in Titeln und Teasern, den "Anreißern" der Nachricht, sollen über Algorithmen der Suchmaschinen wie Google für vordere Platzierungen sorgen. So ist mir aufgefallen, dass hierzulande gleich mehrere Medien die Verunsicherung durch die Bärin in ihren Titeln auf ganz Norditalien ausgedehnt hatten.
Das Interesse von Nutzerinnen und Nutzern wecken
Im Wettbewerb um Aufmerksamkeit gilt es die Schlüssel ständig zu optimieren. Sie sollen dafür sorgen, dass Nutzerinnen und Nutzer möglichst auch auf Beiträge zugreifen, die über ihre Interessen hinaus gehen. Nach alledem was man wahrnimmt, verspricht das Zukunft, die gerade seriöse Medien brauchen. Sie messen täglich die Nutzung der eigenen Angebote, aus den Erfolgen lernen Journalisten.
Dabei müssen sie weiterhin für Freiheit und Demokratie stehen. Das funktioniert besser, wenn sie auch in Titeln glaubwürdig bleiben. Das schließt das sogenannte Clickbaiting aus. Und es wird nichts versprochen, was der Beitrag nicht einhält.
Journalistisches Streben online wirkt in Zeitungen hinein
Das für Online-Publikation verinnerlichte journalistische Streben nach Beachtung wirkt in Zeitungen hinein. Auch gedruckte Titel werden zuweilen als zu reißerisch empfunden. Dennoch: Tatsachen müssen unverrückbar bleiben. Aber Spielräume, die werden gerne mal ausgereizt, auch im Lokalen.
Der Grundsatz, dass ein Titel vom Inhalt gedeckt sein muss, trat am 28. März in den Hintergrund, als im Lokalteil über einem Artikel aus Ochsenfurt stand: "Lauterbach kann von der Main-Klinik lernen". Diese Überschrift war ein eigenständiger Kommentar. Sie hat schon eingeordnet, was erst im Text steht. Des Gesundheitsministers Name im Titel sorgt dabei für Interesse, das über Ochsenfurter Grenzen deutlich hinausgehen kann.
Damit Ausnahmen nicht zur Regel werden
Es ist nicht neu, wenn ich hinzufüge, dass die Text-Beiträge, die zu zugespitzten Überschriften gehören, sowohl im Internet, als auch in der Zeitung meist alle Unklarheiten beseitigen können. Auch in den beiden hier aufgezeigten Fällen. Kurz gesagt: Lesen des ganzen Artikels hilft, zumal die Autoren der Beiträge nicht immer selbst für die Überschrift verantwortlich sind.
Die geschilderten Überschriften sind zwar in ihrer Art nicht einmalig, aber bleiben doch noch Ausnahmen in den Angeboten dieser Zeitung. Damit sie nicht zur Regel werden, mögen diese erklärenden Zeilen zum Aufbau von Abwehrkräften gegen "Bären" in Titeln beitragen.
Und bevor es doch noch jemand beunruhigt: Die Problem-Bärin im Trentino ist inzwischen eingefangen.
Anton Sahlender, Leseranwalt
Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.


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