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Wir über uns: Er sieht sich als Wächter, sie sich als Chamäleon: Zwei Redakteure sprechen über ihren Job

Wir über uns

Er sieht sich als Wächter, sie sich als Chamäleon: Zwei Redakteure sprechen über ihren Job

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    Thomas Fritz und Gina Thiel arbeiten in der Würzburger Redaktion der Main-Post.
    Thomas Fritz und Gina Thiel arbeiten in der Würzburger Redaktion der Main-Post. Foto: Daniel Biscan

    Gina Thiel beschäftigt sich in der Würzburger Lokalredaktion besonders mit gesellschaftlichen Themen, schreibt über Kuschelpartys gegen das Alleinsein, queeres Leben und bewegte Biografien. Thomas Fritz widmet seine journalistische Arbeit vor allem politischen Missständen und der Suche nach Gerechtigkeit. Hier unterhalten sie sich: ein kollegiales Gespräch über Journalismus.

    Gina Thiel: Wann wusstest du, dass du Journalist werden willst, Thomas?

    Thomas Fritz: In der 10. Klasse habe ich zu einem Berufsberater in der Realschule gesagt: Ich will mal den Wächterpreis gewinnen. Das ist ja eine ganz besondere Auszeichnung für journalistische Arbeit, bei der man Missstände aufgedeckt hat. Das war echt mein Ansporn, das Abitur nachzuholen und diesen Weg einzuschlagen.

    Thiel: Wann hast du den Wächterpreis dann bekommen?

    Fritz: Das war 2005 für eine investigative Geschichte aus Zell. Damals hat mir der Bürgermeister zu fragwürdigen Personalentscheidungen keine Auskunft geben wollen. Ich habe die Auskunft einklagen müssen und in zweiter Instanz auch gewonnen. Das war schon wild. Was war dein Ansporn, Gina?

    Wie kommt man zum Journalismus?

    Thiel: Ich hatte Journalismus ganz lange nicht auf dem Schirm, bin aber ein sehr neugieriger Mensch. Während meiner Ausbildung zur Industriekauffrau habe ich in unterschiedlichen Bereichen gearbeitet. Meine Ausbilderin meinte dann, ich könne doch Journalismus studieren. Dank der Wartesemester hat es dann auch trotz mittelmäßigem Abitur geklappt.

    Fritz: Hattest du da bereits eine konkrete Vorstellung vom Journalismus? Ich war bei meinem Berufseinstieg Ende 20, aktiv in der Gewerkschaft und hatte schon eine sehr klare Definition meiner Rolle als Journalist.

    Thiel: Ich habe schnell mitgekriegt, dass alle um mich herum schon irgendwie ein ganz anderes Verständnis von Journalismus haben als ich. Da dachte ich mir, ich mache halt mein eigenes Ding draus.

    Fritz: Was ist dein eigenes Ding?

    Thiel: Ich hatte während des Studiums oft das Gefühl, dass die Journalistinnen und Journalisten beispielsweise bei Interviews zeigen wollten, dass sie genauso viel wissen wie ihr Gegenüber. Sie haben dann auf einer Ebene diskutiert, der man als Außenstehender kaum folgen konnte. Mir ist es immer wichtig, auch die scheinbar einfachen Fragen zu stellen, um alle mitzunehmen.

    „Wir sollten versuchen, einen Einblick in einen Kosmos zu geben.“

    Thomas Fritz, Reporter in der Redaktion Würzburg

    Fritz: Ich glaube, du hast da wirklich einen Punkt. Ich beobachte auch, dass man im Journalismus teils versucht, sich gegenseitig an Intelligenz zu übertreffen und abgehobene Fragen stellt, damit man möglichst schlau wirkt. Wir sollten versuchen, einen Einblick in einen Kosmos zu geben und nicht diejenigen sein, die selbst die große Rolle spielen.

    Thiel: Wobei es natürlich auch wichtig ist, die Zusammenhänge zu verstehen, um die richtigen Fragen stellen zu können.

    Fritz: Mein Ansatz ist es immer, möglichst viel selbst zu wissen, bevor ich mit denen spreche, um die es geht. Und dann halt nicht locker lassen, nachhaken, die oberflächliche Antwort nicht akzeptieren.

    Thiel: Ich finde, dass es auch wichtig ist, eine Art Chamäleon zu sein.

    Fritz: Ein Chamäleon?

    Thiel: Ja, man muss schnell herausfinden, in welcher Situation man gerade ist und wie man sich da anpassen sollte. Muss ich jetzt locker sein, ein tiefes Vertrauensverhältnis aufbauen oder braucht mein Gegenüber mehr Abstand. Wie oft kann und muss ich wie nachfragen. Also ein Stück weit an die Situation anpassen. Daher Chamäleon.

    Fritz: Nenne mal ein Beispiel.

    Kuscheln, Berührungen und Streicheln: Auch in Würzburg finden regelmäßig Kuschelpartys statt. Redakteurin Gina Thiel hat getestet, wie es ist, mit Fremden zu kuscheln.
    Kuscheln, Berührungen und Streicheln: Auch in Würzburg finden regelmäßig Kuschelpartys statt. Redakteurin Gina Thiel hat getestet, wie es ist, mit Fremden zu kuscheln. Foto: Fabian Gebert

    Thiel: Ich habe als Journalistin einen ehemaligen Häftling nach seiner Entlassung ein Jahr begleitet und den Weg zurück in die Gesellschaft beschrieben. Ich recherchiere zu sexuellen Übergriffen und spreche mit Betroffenen. Gleichzeitig lege ich mich bei Kuschelpartys in Würzburg zwischen einsame Menschen und schreibe über TikTok-Stars. Wie kommst du auf deine Themen?

    Wie kommen Journalistinnen und Journalisten an ihre Themen?

    Fritz: Bei mir melden sich oft Leserinnen und Lesern, die wissen, dass ich mich mit kritischen Themen beschäftige. Da kommen dann anonyme Briefe oder Mails, in denen sie auf Ungerechtigkeit aufmerksam machen. Und ich bekomme natürlich auch in den Ausschüssen oder im Kreistag einiges mit. Ich habe mittlerweile ein Gespür dafür entwickelt, wo etwas nicht ganz sauber läuft - und ich glaube nicht alles, was man mir sagt.

    Thiel: Ich bekomme meine Themenideen meistens in Unterhaltungen mit privaten Leuten oder über soziale Netzwerke. Wenn ich die Menschen frage, welche Themen wir unbedingt mal aufgreifen sollten, kommen häufig Ideen, die wir in der Redaktion gar nicht auf dem Schirm hatten. Die sind auch mal sehr speziell und nischig, aber auch da sollten wir meiner Meinung nach hinschauen.

    Nach dem tödlichen Messerangriff am 25. Juni 2021 sprach Bayerns Innenminister Joachim Herrmann in der Würzburger Innenstadt mit der Presse. Main-Post-Reporter Thomas Fritz (Dritter v. li. ) nahm die Aussagen für die Berichterstattung auf und recherchierte zu den Hintergründen.
    Nach dem tödlichen Messerangriff am 25. Juni 2021 sprach Bayerns Innenminister Joachim Herrmann in der Würzburger Innenstadt mit der Presse. Main-Post-Reporter Thomas Fritz (Dritter v. li. ) nahm die Aussagen für die Berichterstattung auf und recherchierte zu den Hintergründen. Foto: Silvia Gralla

    Fritz: Wir haben hier in der Region eine Wächterfunktion, die ich ganz wichtig finde. Das ist eine Aufgabe, die kein anderer macht. Dass wir die Gemeinderäte, Bürgermeister, Landräte beobachten und schauen: Ist das alles im Sinne der demokratischen Verfassung? Ist da niemand korrupt? Niemand, der so ein bisschen das Gesetz überzieht? Für mich war Journalismus immer wichtig, weil ich keine Ungerechtigkeiten mag.

    Thiel: Die Wächterfunktion und Informationspflicht sind wichtig. Aber ich finde es schwierig, wenn Journalistinnen und Journalistin nur das machen, was sie selbst für richtig erachten. Wir sollten uns immer die Frage stellen, was interessiert denn die Leute aktuell? Und was ist für sie wichtig? Und da ist die Antwort glaube ich vielfältiger. Da kommen auch Cafés, Geschäfte und Freizeittipps mit dazu.

    Fritz: Da hast du ja völlig recht, das will ich auch gar nicht geringschätzen. Es sind schon so grundlegende Lebensbedürfnisse, die wir auch vermitteln müssen.

    „Mir ist es wichtig, offenzubleiben und auch zu schauen, was andere machen.“

    Gina Thiel, Reporterin in der Redaktion Würzburg

    Thiel: Mir ist es wichtig, offenzubleiben und auch zu schauen, was andere machen. Es gibt mittlerweile beispielsweise immer mehr Influencerinnen und Influencer in den sozialen Netzwerken, die auch das Geschehen in ihrem Ort zeigen - ganz anders als wir das machen.

    Fritz: Wir sollten Journalistinnen und Journalisten bleiben - und keine Influencerinnen und Influencer werden.

    Thiel: Aber zeitgleich sollten wir offen bleiben, Dinge auszuprobieren, um andere Menschen zu erreichen.

    Fritz: Solange es unseren Werten entspricht. Denn wir genießen genau deswegen . . .

    Thiel: . . . auch ein Vertrauen, weil wir gründlich recherchieren und verschiedene Seiten zu Wort kommen lassen. Das stimmt. Das bewahren und gleichzeitig offen bleiben - das wünsche ich mir für die Main-Post.

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