Das Holz splittert. Fingerlange Späne fliegen zur Seite. Mit schnellen, gleichmäßigen Schlägen treibt Günter Metz das Schnitzwerkzeug in den Klotz. Der hammerähnliche Knüpfel ist an der einen Seite ziemlich eingedellt. Gebrauchsspuren. "Ich habe bestimmt schon zehn Stück in meinem Leben verschlissen", sagt Metz. Der 77-Jährige arbeitet seit sechs Jahrzehnten als Holzschnitzer und Bildhauer. Seine Spezialität: Rhöner Krippen. Auch aus dem noch unförmigen Lindenholzstück auf seiner Werkbank soll eine filigrane Figur werden – in tagelanger Geduldsarbeit.
Neben seiner Werkstatt in Langenleiten (Lkr. Rhön-Grabfeld) hat Metz einen kleinen Ausstellungsraum eingerichtet. Hier stehen seine Krippen, von Schuhkarton-klein bis Schreibtisch-groß. Das neueste Werk mit Feuerberg und Kreuzberg im Hintergrund. Daneben eine ganz schlichte Version, nur mit Maria, Josef und dem Kind auf einem Baumstamm. Und auch Metz‘ erste Krippe, ein einfacher Stall. Unverkäuflich sei die, sagt der 77-Jährige. "Die habe ich mit 15 gemacht."

Seitdem hat Metz unzählige "fränkisch-rhönerische Figuren" entworfen. Insgesamt wohl an die 130, schätzt der Künstler. Meist nach lebenden Vorbildern, quasi als Porträts der Rhöner Bevölkerung. Die Großmutter mit dem runzeligen Gesicht zum Beispiel erinnert an die Großmutter seiner Frau. Der Hirte mit Stab und wettergegerbten Gesicht könnte auf jeder Wiese um Langenleiten gestanden haben. Eine Frau mit Federvieh auf dem Arm hat ein reales Vorbild in einem Dorf im Kreis Bad Kissingen.
Bei Metz ergänzen zahlreiche Rhöner Charaktere das klassische Krippenensemble
Seine Lieblingsfigur: der Vorleser. Ein grauhaariger Großvater mit Schnauzbart, der seinem mit offenem Mund lauschenden Enkel aus der Heiligen Schrift vorliest. Denn neben dem klassischen Krippenensemble um Maria und Josef tummeln sich bei Metz auch andere Figuren um das Jesuskind. Zum Beispiel ein gebeugt gehender Mann, dem eine freche Ziege gerade ein Brot aus der Tasche zieht. "Ein bisschen Spaß gehört dazu", sagt Metz.

Als Standard misst eine Figur bei ihm 23 Zentimeter. Jedes Jahr kommen neue dazu, alle werden von seiner Frau bemalt. "Wenn ich ganz gut drauf bin, dauert ein Hirte zwei Tage", sagt Metz. "Aber mit 77 Jahren geht das nicht mehr so."
Trotzdem steht er noch immer täglich in seiner Werkstatt. Warm ist es dort, im Ofen werden die absplitternden Holzspäne verbrannt. Palmen stehen in der Ecke. Es riecht nach Holz, natürlich. Gut 50 sogenannte Schnitzwerkzeuge liegen auf der Werkbank, wie Spatel unterschiedlichster Größen reihen sie sich aneinander. Metz setzt sich auf den Drehstuhl davor. Rechts auf einem Regal stehen die Figuren, an denen er aktuell arbeitet. Maria und Josef. Hirten. Ein Bub, der mit einem Ziegenbock rauft. Und Schafe, Rhönschafe, mit schwarzem Kopf. "Die müssen alle noch bis Weihnachten fertig werden."
"Es kommt auf die Details an, damit die Figuren echt wirken."
Günter Metz, Holzbildhauer und Krippenschnitzer
Metz greift nach einem Hirten, nimmt ein feines Werkzeug zur Hand und setzt das Metall an das Lindenholz. Vorsichtig schabt er den Raum zwischen den Fingern frei. Millimeterarbeit. Was passiert, wenn er abrutscht? "Was weg ist, ist weg", sagt Metz und lacht. Das passiere aber zum Glück selten. Sachte drückt der 77-Jährige mit dem Schnitzwerkzeug in den Zeigefinger des Hirten, lässt mit winzigen Rillen die Beugung entstehen. "Es kommt auf die Details an, damit die Figuren echt wirken."

Anatomie lerne man deshalb schon in der Ausbildung an der Bildhauerschule, sagt Metz. Die Proportionen müssen stimmen, das Verhältnis Kopf zu Körper, die Gliedmaßen in Bewegung richtig angewinkelt sein. Metz fertigt meist zunächst Gipsmodelle seiner Figuren an, entweder nach Bildern oder "aus dem Gedächtnis". Dann sucht er ein passendes, fehlerfreies Stück Lindenholz und schlägt es grob in Form. Schließlich entsteht in tagelanger Schnitzarbeit an der Werkbank die Krippenfigur.
Seit 1956, als Metz seine Lehre als Holzschnitzer begann, hat sich der Beruf verändert. Nach Kruzifixen etwa "fragt niemand mehr", sagt Metz. Stattdessen liegt sein Schwerpunkt heute auf Figuren, Skulpturen und kompletten Krippen. Von ihm stammt beispielsweise die Krippe in der Klosterkirche auf dem Kreuzberg. Oder eine überlebensgroße Figur des Heiligen Kilian, die gute 2,40 Meter misst und in der Schweiz steht. Aufträge bekommt er vor allem von Kirchen und Gemeinden, auch die Langenleitener Krippe ist von ihm. Metz legt das Werkzeug aus der Hand und zieht sein Smartphone aus der Tasche. Bilder seiner Werke hat er darauf gespeichert, die Chronik seines Lebenswerks.

Metz' Familie stammt aus Langenleiten. Schon der Großvater war Schreiner und dem Enkel wurde "schnell klar, dass ich was mit Holz machen wollte". Er besuchte die Bildhauerschule in Bischofsheim (Lkr. Rhön-Grabfeld), bestand die Meisterprüfung in Würzburg - mit Ausnahmegenehmigung, "weil ich eigentlich noch nicht alt genug war". In seinem Heimatort machte er sich dann als Künstler selbstständig. "Der Beruf ist meine Leidenschaft", sagt Metz schlicht. Auch nach Jahrzehnten noch.
Holzbildhauer lernen ihr Handwerk heute meist nicht mehr in Betrieben, sondern an Schulen
Direkt neben seiner Werkstatt haben mittlerweile sein Sohn und dessen Frau ein Atelier. Im Garten davor stehen Werke beider Generationen, aus Holz, Stein und Bronze. Das Mischmetall ist Metz‘ zweiter Rohstoff, ein Bronzebauer von ihm sitzt im Dorf unter einer Linde. Kein Zufall.
Langenleiten in der Rhön gilt als Künstlerort. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts schufen Holzschnitzer hier ihre Produkte. Heute leben in der 650-Einwohner-Gemeinde zahlreiche Bildhauer, Holzfräser, Grafikdesigner, Maler oder eben Holzschnitzer. Ihre Ateliers und Werkstätten reihen sich entlang der Lindenstraße, die sich durch das gesamte Dorf zieht und 2014 zu einer Art Kunstmeile wurde: dem sogenannten Kunst-Anger. Er zeigt je eine Arbeit jedes örtlichen Künstlers.

Einige von ihnen haben wie Günter Metz ihre Ausbildung an der knapp 15 Kilometer entfernten Berufsfachschule für Holzbildhauer in Bischofsheim gemacht. In drei Jahren üben die Schüler dort nicht nur das "Formen in Holz", sondern beispielsweise auch Drechseln, Schreinern, Zeichnen oder Schweißen. Und sie erwerben einen Kettensägeschein.
"Die klassischen traditionellen Tätigkeiten, etwa Krippenfiguren in Masse herzustellen, werden zunehmend weniger."
Christine Götz, Schulleiterin der Staatlichen Berufsfachschule für Holzbildhauer Bischofsheim
"Holzbildhauer erlernen ist ein Handwerk mit langer Tradition", sagt Schulleiterin Christine Götz. Allerdings seien heute bundesweit die meisten Holzbildhauer Ein-Mann-Betriebe. Die Folge: Sie bilden nicht mehr selbst aus, Berufsfachschulen springen ein. Wie in Bischofsheim. Dort gibt es laut Götz aktuell 32 Schüler – die Zahl hat sich in den letzten Jahren kaum verändert. Die Arbeit hingegen schon. "Die klassischen traditionellen Tätigkeiten, etwa Krippenfiguren in Masse herzustellen, werden zunehmend weniger."

Metz merkt davon nach eigener Aussage nichts. "Ich könnte Tag und Nacht arbeiten", sagt der 77-Jährige. Die Nachfrage sei nach wie vor groß, auch bei jungen Menschen. "In Familien haben Krippen oft einen besonderen Stellenwert. Das ist etwas, das weitergegeben wird, das man von der Oma geschenkt bekommt." Und zu dem Jahr für Jahr ein Stück dazu gekauft wird. Denn billig sind die handgefertigten Figuren nicht. Rund 250 Euro kostet ein Hirte in Standardgröße im Schnitt. Aber: "Reich wird man davon nicht", sagt Metz. Der Arbeitsaufwand sei zu groß.
Draußen, vor den großen Fenstern seiner Werkstatt, liegt an diesem Dezembertag leichter Frost. Drinnen merkt man vom Rhöner Winter nichts. Gerade jetzt, im Advent, sitzt der 77-Jährige hier oft noch immer vom Frühstück bis abends um 19 Uhr an der Werkbank. Freie Tage gibt es für den Krippenschnitzer im Moment keine. Aufhören ist für ihn undenkbar. "Wenn ich das nicht mehr machen kann, . . . " - Metz lässt den Satz unvollendet. Behutsam pustet er die Späne vom Hirten. Hustet. Flink sucht die Hand das passende Werkzeug. Mit ganz schmaler Spitze, für die Gesichtszüge.