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Gerolzhofen: Jüdische Soldaten: Vom Kriegshelden zum Verräter abgestempelt

Gerolzhofen

Jüdische Soldaten: Vom Kriegshelden zum Verräter abgestempelt

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    Der Gerolzhöfer Jude Arthur Hahn kämpfte als Infanterist im Ersten Weltkrieg. Für bewiesene Tapferkeit auf dem Schlachtfeld erhielt er das Eiserne Kreuz zweiter Klasse sowie das Verwundetenabzeichen, wie diese überlieferte Urkunde zeigt.
    Der Gerolzhöfer Jude Arthur Hahn kämpfte als Infanterist im Ersten Weltkrieg. Für bewiesene Tapferkeit auf dem Schlachtfeld erhielt er das Eiserne Kreuz zweiter Klasse sowie das Verwundetenabzeichen, wie diese überlieferte Urkunde zeigt. Foto: Archiv Evamaria Bräuer

    Aus heutiger Sicht wirken die Worte von Leo Löwenstein befremdlich. Er hat diese als Einleitung geschrieben für das Gedenkbuch für die jüdischen Gefallenen, die während des Ersten Weltkriegs (1914-1918) für das deutsche Kaiserreich ihr Leben geopfert haben. Die 12 000 zumeist jungen Männer, die auf den Schlachtfeldern oder in den Feldlazaretten elend gestorben sind, hätten mit ihrem Tod "ihre allein ernsthafte und achtungsgebietende Blutprobe im deutschen Sinne bestanden", schreibt der Hauptmann der Reserve in dem im Jahr 1932 erschienenen Buch. Herausgegeben hat das Buch der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten (RjF), dessen Bundesvorsitzender Löwenstein war. In dem Buch stehen auch Namen von Juden aus Gerolzhofen und umliegenden Gemeinden.

    Um dieses für heutige Leser aus der Zeit gefallene Loblied auf den Heldentod deutscher Söhne zu Beginn des Buches richtig einordnen zu können, muss man eines wissen: Die lange Liste der Gefallenen, die zum Zeitpunkt ihres Todes der jüdischen Glaubensgemeinschaft angehörten, sollte vor allem die noch in Deutschland lebenden Juden schützen. Denn Anfang der 30er Jahre wurden diese mit dem zunehmend offen ausgelebten Antisemitismus immer häufiger zu Opfern falscher Behauptungen, wonach die in Deutschland lebenden Juden während des Weltkriegs feige Vaterlandsverräter gewesen seien, die nicht für Kaiser und Reich gekämpft hätten. Mit dem Buch wollte der RjF diesen im Kontext der sogenannten Dolchstoßlegende verbreiteten Lügen entgegentreten und die tatsächliche Opferbereitschaft der Juden in Deutschland demonstrieren. Von den im Jahr 1914 insgesamt 550 000 "reichsdeutschen Juden" hätten 100 000 gedient und mehr als jeder Zehnte sei nicht von der Front zurückgekehrt, führt der RjF an.

    "Ehrengabe" der Stadt für Gerolzhöfer Kriegsteilnehmer

    Dass unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und in den Anfangsjahren der Weimarer Republik die Zugehörigkeit ehemaliger Frontsoldaten zur jüdischen Glaubensgemeinschaft zunächst keine große Rolle gespielt hat, wenn es um die Verehrung der Frontkämpfer ging, zeigt ein Beispiel aus Gerolzhofen. Die Gerolzhöfer Norbert Vollmann und Bertram Schulz sind bei Recherchen über die Kriegsteilnehmer aus der Stadt darauf gestoßen. So berichtete der "Bote vom Steigerwald" in einer Ausgabe von Anfang 1919 von rund 600 Teilnehmern am Weltkrieg, die aus Gerolzhofen kommen. 72 von diesen waren damals – rund ein Vierteljahr nach Kriegsende – als Gefallene registriert, zehn galten als vermisst und 22 waren noch in Kriegsgefangenschaft. Die Stadt habe jedem 15 Mark als "Ehrengabe" ausbezahlt, völlig unabhängig von dessen Glauben oder Konfession.

    Der Eintrag in die sogenannte Kriegsstammrolle führt die Namen der Frontsoldaten auf. Auf dieser Doppelseite sind in der Mitte die Angaben von Siegfried Selig aus Zeilitzheim überliefert. Neben dessen persönlichen Daten ist dort dessen militärische Laufbahn abzulesen, die wenige Wochen nach Kriegsbeginn, im Oktober 1914, mit einer tödlichen Verwundung endete.
    Der Eintrag in die sogenannte Kriegsstammrolle führt die Namen der Frontsoldaten auf. Auf dieser Doppelseite sind in der Mitte die Angaben von Siegfried Selig aus Zeilitzheim überliefert. Neben dessen persönlichen Daten ist dort dessen militärische Laufbahn abzulesen, die wenige Wochen nach Kriegsbeginn, im Oktober 1914, mit einer tödlichen Verwundung endete. Foto: Archiv Evamaria Bräuer

    Während eines Ehren-Umzugs durch die Stadt marschierten unter dem Jubel der Bevölkerung demnach auch ganz selbstverständlich die jüdischen Kriegsteilnehmer mit. Ihnen kam allein die in dem Bericht erwähnte Sonderrolle zu, dass ihre Gruppe vor der Stadtpfarrkirche vom Rest des Umzugs abzweigte und, mit der Stadtkapelle voraus, zur Synagoge in der Steingrabenstraße zogen, um dort Gottesdienst zu feiern. Währenddessen zogen der Großteil der ehemaligen Frontkämpfer in die katholische Stadtpfarrkirche.

    Der "Bote vom Steigerwald" berichtete in einer im Oktober 1919 veröffentlichten Notiz auch davon, dass der Jude Gustav Stern nach über einjähriger englischer Kriegsgefangenschaft nach Gerolzhofen zurückgekehrt war, "etwas überraschend für seine Angehörigen". Selbst am Ständchen einer Musikkapelle für den Heimkehrer fehlte es laut der Zeitungsnotiz nicht.

    Verein nur für jüdische Kriegsveteranen 

    Um dem in der Folgezeit vermehrt aufkommenden Antisemitismus, der auch die Frontkämpfer und deren Familien nicht verschonte, Einhalt zu gebieten, gründete sich auf Initiative des Vieh- und Hopfenhändlers Siegfried Krämer im April 1924 in der Stadt eine Ortsgruppe des RjF, als konfessionsgebundener Veteranenverein. Krämer hatte als Soldat unter anderem an der Schlacht von Verdun teilgenommen und war für seine Tapferkeit ausgezeichnet worden.

    Der Gerolzhöfer Louis Lichtenauer als Soldat im Ersten Weltkrieg.
    Der Gerolzhöfer Louis Lichtenauer als Soldat im Ersten Weltkrieg. Foto: Stadtarchiv Gerolzhofen

    Das Eiserne Kreuz zweiter Klasse (EK II) für bewiesene Tapferkeit vor dem Feind trug auch Louis Lichtenauer, der im September 1931 während einer Geschäftsreise in Niederbayern im Alter von 48 Jahren schwer erkrankte und starb. Der Gerolzhöfer Jude hinterließ seine Frau Selma und zwei Kinder. Laut eines Nachrufs der Tageszeitung wurde der Verstorbene, der sich "allgemeiner Beliebtheit" erfreute, mit "großem Trauergefolge" zu Grabe geleitet. Die Gerolzhöfer Feuerwehr, die Rad- und Kraftfahrtvereinigung 1898, die Schützengesellschaft und der Krieger- und Veteranenverein ehrten ihr verstorbenes Mitglied an dessen Grab, wo auch das "Lied vom guten Kameraden" gespielt wurde – dass Lichtenauer Jude war, spielte damals, im Jahr 1931, offensichtlich keine Rolle.

    Die Registrierungskarte, die bei Heinrich Reiters Einreise nach England am 1. November 1939 ausgestellt wurde.
    Die Registrierungskarte, die bei Heinrich Reiters Einreise nach England am 1. November 1939 ausgestellt wurde. Foto: Archiv Evamaria Bräuer

    Zu den Frontsoldaten des Ersten Weltkriegs zählte auch der jüdische Lehrer Heinrich Reiter, der nach weniger Wochen nach Beginn des Zweiten Weltkriegs (1939-1945), Anfang November 1939, nach England emigriert ist. Im Jahr 1942 trat er als 58-Jähriger nochmals der US-Armee bei, wie ein überliefertes Registrierungsdokument zeigt.

    Heinrich Reiter war jüdischer Lehrer und Soldat in zwei Weltkriegen.
    Heinrich Reiter war jüdischer Lehrer und Soldat in zwei Weltkriegen. Foto: Stadtarchiv Gerolzhofen

    Mehrere Gerolzhöfer Juden wurden während ihres Kriegsdienstes zwischen 1914 und 1918 schwer verwundet. Bekannt ist dies von Hermann Rothschild, Hermann Kohn, Max Henle und Arthur Hahn, dem Sohn des Lederhändlers Oskar Hahn, der laut einer Zeitungsanzeige vom Juni 1915 schwer verwundet das EK II erhielt. Diese Auszeichnung erhielt auch der Metzger Ignaz Prölsdorfer, der in einer Maschinengewehr-Kompanie diente und 1918 verwundet worden ist. Unteroffizier Fritz Pfeifer erhielt laut eines Berichts im "Bote vom Steigerwald" ebenfalls eine Tapferkeitsauszeichnung. Metzger Jakob Marx, der im Jahr 1886 in Traustadt geboren wurde, überstand seinen Kriegsdienst von 1916 bis 1918 unverletzt.

    Liste der gefallenen jüdischen Soldaten

    Weniger Glück hatten diejenigen Juden aus Gerolzhofen und Umgebung, die nicht mehr aus dem Krieg heimkehrten. Dies waren: Felix Kolb (Jahrgang 1895) aus Frankenwinheim, der am 7. Juni 1917 fiel, Siegmund Hahn (1892) aus Gerolzhofen, der am 27. November 1915 fiel, Isaak Löwenberger (1881) aus Prichsenstadt, der am 25. Dezember 1914 fiel, Abraham Marx (1884) aus Traustadt, der nach einer Verletzung durch Giftgas am 29. April 1917 im Feldlazarett von Le Quesnoy starb, Moses Frank (1891) aus Zeilitzheim, der bereits wenige Tage nach Kriegsausbruch, am 10. August 1914 fiel, und Siegfried Selig (1893) aus Zeilitzheim, der am 24. Oktober 1914 an einer Verwundung starb und dessen Brüder Benno und Moritz ebenfalls im Feld waren.

    Das Foto zeigt den Gerolzhöfer Juden Siegmund Hahn als Unteroffizier des Ersten Weltkriegs. Er fiel im November 1915.
    Das Foto zeigt den Gerolzhöfer Juden Siegmund Hahn als Unteroffizier des Ersten Weltkriegs. Er fiel im November 1915. Foto: Staatsarchiv Würzburg

    An den Folgen ihrer Kriegsverletzungen starben die Prichsenstädter Max Löwenberger (1872) am 17. Oktober 1919 und Otto Hahn (1893) am 17. Februar 1920. Die Angaben zu den beiden sowie zu den Gefallenen stammen aus dem erwähnten Gedenkbuch des RjF.

    Das Mahnmal für die Gefallenen und Vermissten der beiden Weltkriege auf dem Zeilitzheimer Marktplatz trägt auch die Namen der beiden jüdischen Soldaten Siegfried Selig und Moses Frank, die beide im ersten Kriegsjahr 1914 starben.
    Das Mahnmal für die Gefallenen und Vermissten der beiden Weltkriege auf dem Zeilitzheimer Marktplatz trägt auch die Namen der beiden jüdischen Soldaten Siegfried Selig und Moses Frank, die beide im ersten Kriegsjahr 1914 starben. Foto: Norbert Vollmann

    Zur Geschichte der jüdischen Soldaten zählt auch der Hinweis, dass diese bereits in Kriegen des 19. Jahrhunderts kämpften. So gibt es, wie Norbert Vollmann und Bertram Schulz wissen, drei bekannte Veteranen der Befreiungskriege gegen Napoleon 1813/14, die in Bayern begraben liegen, in Fürth, Steinhart und Harburg. In Bad Kissingen gibt es zudem auf dem jüdischen Friedhof Gräber von Soldaten, die im Deutschen Krieg 1866 als bayerische bzw. preußische Soldaten gegeneinander gekämpft haben.

    Teilnahme am Feldzug gegen Frankreich

    Am Feldzug gegen Frankreich 1870/71 nahmen nachweislich die Gerolzhöfer Juden Kalmann Selig und Abraham Lichtenauer teil.

    Auf dem Sockel des Grabsteins von Kalmann und Mathilda Selig auf dem jüdischen Friedhof von Gerolzhofen ist die Teilnahme des Gerolzhöfers am Feldzug 1870/71 vermerkt.
    Auf dem Sockel des Grabsteins von Kalmann und Mathilda Selig auf dem jüdischen Friedhof von Gerolzhofen ist die Teilnahme des Gerolzhöfers am Feldzug 1870/71 vermerkt. Foto: Evamaria Bräuer

    Und noch einen interessanten Hinweis hat Norbert Vollmann: Als amerikanische Truppen am Ende des Zweiten Weltkriegs am 13. April 1945 in Gerolzhofen einmarschierten, sollen unter diesen auch frühere Gerolzhöfer Juden gewesen sein, die ihre Heimatstadt wenige Jahre zuvor unter der Naziherrschaft verlassen mussten. Genannt werden die Namen Karl Brodmann und Abraham (womöglich aber Ignaz) Prölsdörfer die ihre Heimatstadt wenige Jahre zuvor unter der Naziherrschaft verlassen mussten. Evamaria Bräuer, die die Geschichte der Gerolzhöfer Juden seit Jahrzehnten erforscht, bestätigt den durch eine Zeugin glaubhaft versicherten Namen Ernst Reinhold. Endgültige Klarheit ist hier nicht zu erlangen.

    Im "Bote vom Steigerwald" erschien im Dezember 1921 eine Danksagung für die Beileidsbezeugungen für den verstorbenen Abraham Lichtenauer.
    Im "Bote vom Steigerwald" erschien im Dezember 1921 eine Danksagung für die Beileidsbezeugungen für den verstorbenen Abraham Lichtenauer. Foto: Archiv Evamaria Bräuer

    Das Festjahr "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland" nimmt diese Redaktion zum Anlass, in einer losen Reihe von Artikeln den vielfältigen Spuren nachzuspüren, die jüdische Einwohner in Gerolzhofen hinterlassen haben und sich mit der Erinnerung an diese auseinanderzusetzen.

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