Aus heutiger Sicht wirken die Worte von Leo Löwenstein befremdlich. Er hat diese als Einleitung geschrieben für das Gedenkbuch für die jüdischen Gefallenen, die während des Ersten Weltkriegs (1914-1918) für das deutsche Kaiserreich ihr Leben geopfert haben. Die 12 000 zumeist jungen Männer, die auf den Schlachtfeldern oder in den Feldlazaretten elend gestorben sind, hätten mit ihrem Tod "ihre allein ernsthafte und achtungsgebietende Blutprobe im deutschen Sinne bestanden", schreibt der Hauptmann der Reserve in dem im Jahr 1932 erschienenen Buch. Herausgegeben hat das Buch der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten (RjF), dessen Bundesvorsitzender Löwenstein war. In dem Buch stehen auch Namen von Juden aus Gerolzhofen und umliegenden Gemeinden.
Um dieses für heutige Leser aus der Zeit gefallene Loblied auf den Heldentod deutscher Söhne zu Beginn des Buches richtig einordnen zu können, muss man eines wissen: Die lange Liste der Gefallenen, die zum Zeitpunkt ihres Todes der jüdischen Glaubensgemeinschaft angehörten, sollte vor allem die noch in Deutschland lebenden Juden schützen. Denn Anfang der 30er Jahre wurden diese mit dem zunehmend offen ausgelebten Antisemitismus immer häufiger zu Opfern falscher Behauptungen, wonach die in Deutschland lebenden Juden während des Weltkriegs feige Vaterlandsverräter gewesen seien, die nicht für Kaiser und Reich gekämpft hätten. Mit dem Buch wollte der RjF diesen im Kontext der sogenannten Dolchstoßlegende verbreiteten Lügen entgegentreten und die tatsächliche Opferbereitschaft der Juden in Deutschland demonstrieren. Von den im Jahr 1914 insgesamt 550 000 "reichsdeutschen Juden" hätten 100 000 gedient und mehr als jeder Zehnte sei nicht von der Front zurückgekehrt, führt der RjF an.
"Ehrengabe" der Stadt für Gerolzhöfer Kriegsteilnehmer
Dass unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und in den Anfangsjahren der Weimarer Republik die Zugehörigkeit ehemaliger Frontsoldaten zur jüdischen Glaubensgemeinschaft zunächst keine große Rolle gespielt hat, wenn es um die Verehrung der Frontkämpfer ging, zeigt ein Beispiel aus Gerolzhofen. Die Gerolzhöfer Norbert Vollmann und Bertram Schulz sind bei Recherchen über die Kriegsteilnehmer aus der Stadt darauf gestoßen. So berichtete der "Bote vom Steigerwald" in einer Ausgabe von Anfang 1919 von rund 600 Teilnehmern am Weltkrieg, die aus Gerolzhofen kommen. 72 von diesen waren damals – rund ein Vierteljahr nach Kriegsende – als Gefallene registriert, zehn galten als vermisst und 22 waren noch in Kriegsgefangenschaft. Die Stadt habe jedem 15 Mark als "Ehrengabe" ausbezahlt, völlig unabhängig von dessen Glauben oder Konfession.

Während eines Ehren-Umzugs durch die Stadt marschierten unter dem Jubel der Bevölkerung demnach auch ganz selbstverständlich die jüdischen Kriegsteilnehmer mit. Ihnen kam allein die in dem Bericht erwähnte Sonderrolle zu, dass ihre Gruppe vor der Stadtpfarrkirche vom Rest des Umzugs abzweigte und, mit der Stadtkapelle voraus, zur Synagoge in der Steingrabenstraße zogen, um dort Gottesdienst zu feiern. Währenddessen zogen der Großteil der ehemaligen Frontkämpfer in die katholische Stadtpfarrkirche.
Der "Bote vom Steigerwald" berichtete in einer im Oktober 1919 veröffentlichten Notiz auch davon, dass der Jude Gustav Stern nach über einjähriger englischer Kriegsgefangenschaft nach Gerolzhofen zurückgekehrt war, "etwas überraschend für seine Angehörigen". Selbst am Ständchen einer Musikkapelle für den Heimkehrer fehlte es laut der Zeitungsnotiz nicht.
Verein nur für jüdische Kriegsveteranen
Um dem in der Folgezeit vermehrt aufkommenden Antisemitismus, der auch die Frontkämpfer und deren Familien nicht verschonte, Einhalt zu gebieten, gründete sich auf Initiative des Vieh- und Hopfenhändlers Siegfried Krämer im April 1924 in der Stadt eine Ortsgruppe des RjF, als konfessionsgebundener Veteranenverein. Krämer hatte als Soldat unter anderem an der Schlacht von Verdun teilgenommen und war für seine Tapferkeit ausgezeichnet worden.

Das Eiserne Kreuz zweiter Klasse (EK II) für bewiesene Tapferkeit vor dem Feind trug auch Louis Lichtenauer, der im September 1931 während einer Geschäftsreise in Niederbayern im Alter von 48 Jahren schwer erkrankte und starb. Der Gerolzhöfer Jude hinterließ seine Frau Selma und zwei Kinder. Laut eines Nachrufs der Tageszeitung wurde der Verstorbene, der sich "allgemeiner Beliebtheit" erfreute, mit "großem Trauergefolge" zu Grabe geleitet. Die Gerolzhöfer Feuerwehr, die Rad- und Kraftfahrtvereinigung 1898, die Schützengesellschaft und der Krieger- und Veteranenverein ehrten ihr verstorbenes Mitglied an dessen Grab, wo auch das "Lied vom guten Kameraden" gespielt wurde – dass Lichtenauer Jude war, spielte damals, im Jahr 1931, offensichtlich keine Rolle.

Zu den Frontsoldaten des Ersten Weltkriegs zählte auch der jüdische Lehrer Heinrich Reiter, der nach weniger Wochen nach Beginn des Zweiten Weltkriegs (1939-1945), Anfang November 1939, nach England emigriert ist. Im Jahr 1942 trat er als 58-Jähriger nochmals der US-Armee bei, wie ein überliefertes Registrierungsdokument zeigt.

Mehrere Gerolzhöfer Juden wurden während ihres Kriegsdienstes zwischen 1914 und 1918 schwer verwundet. Bekannt ist dies von Hermann Rothschild, Hermann Kohn, Max Henle und Arthur Hahn, dem Sohn des Lederhändlers Oskar Hahn, der laut einer Zeitungsanzeige vom Juni 1915 schwer verwundet das EK II erhielt. Diese Auszeichnung erhielt auch der Metzger Ignaz Prölsdorfer, der in einer Maschinengewehr-Kompanie diente und 1918 verwundet worden ist. Unteroffizier Fritz Pfeifer erhielt laut eines Berichts im "Bote vom Steigerwald" ebenfalls eine Tapferkeitsauszeichnung. Metzger Jakob Marx, der im Jahr 1886 in Traustadt geboren wurde, überstand seinen Kriegsdienst von 1916 bis 1918 unverletzt.
Liste der gefallenen jüdischen Soldaten
Weniger Glück hatten diejenigen Juden aus Gerolzhofen und Umgebung, die nicht mehr aus dem Krieg heimkehrten. Dies waren: Felix Kolb (Jahrgang 1895) aus Frankenwinheim, der am 7. Juni 1917 fiel, Siegmund Hahn (1892) aus Gerolzhofen, der am 27. November 1915 fiel, Isaak Löwenberger (1881) aus Prichsenstadt, der am 25. Dezember 1914 fiel, Abraham Marx (1884) aus Traustadt, der nach einer Verletzung durch Giftgas am 29. April 1917 im Feldlazarett von Le Quesnoy starb, Moses Frank (1891) aus Zeilitzheim, der bereits wenige Tage nach Kriegsausbruch, am 10. August 1914 fiel, und Siegfried Selig (1893) aus Zeilitzheim, der am 24. Oktober 1914 an einer Verwundung starb und dessen Brüder Benno und Moritz ebenfalls im Feld waren.

An den Folgen ihrer Kriegsverletzungen starben die Prichsenstädter Max Löwenberger (1872) am 17. Oktober 1919 und Otto Hahn (1893) am 17. Februar 1920. Die Angaben zu den beiden sowie zu den Gefallenen stammen aus dem erwähnten Gedenkbuch des RjF.

Zur Geschichte der jüdischen Soldaten zählt auch der Hinweis, dass diese bereits in Kriegen des 19. Jahrhunderts kämpften. So gibt es, wie Norbert Vollmann und Bertram Schulz wissen, drei bekannte Veteranen der Befreiungskriege gegen Napoleon 1813/14, die in Bayern begraben liegen, in Fürth, Steinhart und Harburg. In Bad Kissingen gibt es zudem auf dem jüdischen Friedhof Gräber von Soldaten, die im Deutschen Krieg 1866 als bayerische bzw. preußische Soldaten gegeneinander gekämpft haben.
Teilnahme am Feldzug gegen Frankreich
Am Feldzug gegen Frankreich 1870/71 nahmen nachweislich die Gerolzhöfer Juden Kalmann Selig und Abraham Lichtenauer teil.

Und noch einen interessanten Hinweis hat Norbert Vollmann: Als amerikanische Truppen am Ende des Zweiten Weltkriegs am 13. April 1945 in Gerolzhofen einmarschierten, sollen unter diesen auch frühere Gerolzhöfer Juden gewesen sein, die ihre Heimatstadt wenige Jahre zuvor unter der Naziherrschaft verlassen mussten. Genannt werden die Namen Karl Brodmann und Abraham (womöglich aber Ignaz) Prölsdörfer die ihre Heimatstadt wenige Jahre zuvor unter der Naziherrschaft verlassen mussten. Evamaria Bräuer, die die Geschichte der Gerolzhöfer Juden seit Jahrzehnten erforscht, bestätigt den durch eine Zeugin glaubhaft versicherten Namen Ernst Reinhold. Endgültige Klarheit ist hier nicht zu erlangen.

Das Festjahr "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland" nimmt diese Redaktion zum Anlass, in einer losen Reihe von Artikeln den vielfältigen Spuren nachzuspüren, die jüdische Einwohner in Gerolzhofen hinterlassen haben und sich mit der Erinnerung an diese auseinanderzusetzen.
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