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Sport: Sexismus im Sport: Mit nackten Tatsachen gegen die Langweile

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Sexismus im Sport: Mit nackten Tatsachen gegen die Langweile

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    Vorhang auf, Gejohle: Ein Nummerngirl auf dem Weg in den Boxring. 
    Vorhang auf, Gejohle: Ein Nummerngirl auf dem Weg in den Boxring.  Foto: Brigitte Gorille

    Feminismus ist, wenn hässliche Frauen darüber entscheiden, was hübsche Frauen tun dürfen. Das ist die Definition eines unbekannter Liebhaber des Boxsports, mutmaßlich männlich. Er philosophiert in einem Chat auf der Homepage Boxen.de als Dr. Fallobsthammer weiter: "Es haben zahlreiche Models ihren Job verloren durch diesen Schwachsinn, da bekommt das Wort befreiend eine ganz neue Bedeutung." Sein Beitrag zur Diskussion über Nummerngirls, Grid Girls, Cheerleaderinnen oder allgemein zu knappe Kleidung im Sport. Und zu der Frage: Ist plumpe Erotik in diesem gesellschaftlich so breit aufgestellten Feld nur überkommen oder bereits eindeutig sexistisch?

    Konkret beklagte der unbekannte Schreiber vor einem Jahr, dass ein Schweizer Boxverband die sparsam bekleideten jungen Frauen aus dem Programm gestrichen hatte, die mit Täfelchen die Nummer der jeweiligen Runde im Ring angezeigt hatten - damit auch dem Bierseligsten in der johlenden Masse beim Zählen geholfen war. "Als größter Schweizer Boxveranstalter wollen wir soziale Verantwortung übernehmen. Dazu gehört auch, Gepflogenheiten des Boxsports trotz ihrer Tradition in Frage zu stellen", hatte Verbands-Boss Leander Strupler diesen Schritt kommentiert.

    Während die (Kick)-Boxer in den Pausen in ihren Ecken gepflegt werden, stöckeln leicht bekleidete Nummerngirls durch den Ring.
    Während die (Kick)-Boxer in den Pausen in ihren Ecken gepflegt werden, stöckeln leicht bekleidete Nummerngirls durch den Ring. Foto: Claus Michelfelder

    Damit stand er 2019 längst nicht mehr alleine da. Die Formel 1 hatte im Vorjahr die Grid Girls, im Volksmund "Boxenluder" genannt, von den Rennstrecken verbannt. Das Feigenblättchen ihres Wirkens war die Präsentation der Fahrer auf, jawohl, ebenfalls Täfelchen; dabei dürfte es zuvorderst, dem Motorsport angemessen, um Kurven gegangen sein - um "heiße". Das habe sich, so die offizielle Pressemitteilung, nicht mehr mit den veränderten Werte-Vorstellungen vereinbaren lassen. 

    Keinen Schmatzer mehr auf des Siegers Backe

    Ein bisschen flotter noch war der Dart-Weltverband in seiner Evolution zum moralisch aufrechten Gang. Das Ende der Walk-On-Girls, in Funktion und Outfit kaum von den Motor-Mädels zu unterscheiden, löste allerdings wilde Proteste bei den Fans aus, die in einer Online-Petition mit 50 000 Unterzeichnern gipfelten. Geschichte waren sie trotzdem, genauso wie die "Krönchen-Mädels", die den besten Radsportlern am Ende einer Tour-Etappe einen feuchten Schmatzer auf die Backen gaben. Lächeln, sexy sein und gut gebaut, wenig verhüllt oder mit kurzen Röckchen wie im Eiskunstlauf- oder Tennissport - ein diskutables Frauenbild. Frauen sollten Männern beim Passiv-Sporteln die Langeweile vertreiben.

    Schmückendes Beiwerk: Während die Formel 1 inzwischen auf Grid Girls verzichtet, setzen zahlreiche andere große Motorsport-Rennserien auf hübsche Gesichter und Haut. Das bisschen Kleidung ist notwendig für die Werbung meist namhafter Unternehmen.
    Schmückendes Beiwerk: Während die Formel 1 inzwischen auf Grid Girls verzichtet, setzen zahlreiche andere große Motorsport-Rennserien auf hübsche Gesichter und Haut. Das bisschen Kleidung ist notwendig für die Werbung meist namhafter Unternehmen. Foto: imago

    Ein Zufall wird's kaum sein, dass sich Sex ganz besonders gut verkauft in Sportarten, die Längen und Pausen haben. Die Männer vielleicht auch nur anschauen, weil Männer das halt anschauen. Laut und schnell im Kreis fahren, im Kneipen-Ambiente Pfeile auf Scheiben werfen, sich zünftig auf die Nase hauen oder über Alpenpässe quälen - Sport von ganzen Kerlen für nicht ganz so ganze. Da braucht's schöne Frauen wie den Korn zum Bier: nicht zwingend nötig, aber "knallt" gut. Ein Klischee, das bröckelt seit ein, zwei Jahren - aber nicht vom Tisch ist.

    Noch immer nutzen Boxverbände halbnackte Zählhilfen. Sogar bei der nordbayerischen Meisterschaft der Jugend (!) im Februar im Würzburger Friedrich-König-Gymnasium; der Veranstalter freute sich wie Bolle, ein "obligatorisches Nummerngirl" ankündigen zu dürfen. Auch etliche große Rennsport-Serien vertrauen abseits des Asphalts der "Aerodynamik": nackte Haut oder knallenge Overalls. Und beim Basketball schwingen Cheerleader in den Pausen die Pompons als wollten sie die Halle damit putzen. Auch in Würzburg.

    "Wir tragen ganz bewusst sexy Kleidung."

    Mirja Reuß, Trainerin der Würzburger Basketball-Cheerleader "s.Oliver Dancers"

    Mirja Reuß, die mit ihrer Schwester Irina die "s.Oliver Dancers" trainiert, hat allerdings kein Problem damit, wenn Zuschauer die Darbietungen in den Spielpausen der Würzburger Erstliga-Basketballer als sexistisch wahrnehmen: "Wir tragen bewusst sexy Kleidung, wollen Fans und Spieler mit unserem Tanz motivieren und ein Teamgefühl erzeugen. Wir wissen aber nicht, wie das bei jedem ankommt."

    Die s.Oliver Dancers der Würzburger Erstliga-Basketballer mal freizügig in extrem knappen Miniröcken...
    Die s.Oliver Dancers der Würzburger Erstliga-Basketballer mal freizügig in extrem knappen Miniröcken... Foto: Heiko Becker

    Die 20 Mädels haben einige Kostüme zur Auswahl, das angezogenste besteht aus roten Bustiers und langen Gymnastik-Hosen, das freizügigste aus schwarzen, bauchfreien Tops und superkurzen Miniröcken. "Gerade das mit den Röckchen haben wir bewusst gewählt, damit wir den klassischen Look der Cheerleaderinnen repräsentieren und man uns als solche wahrnimmt", sagt Reuß.

    Den sportlichen Aspekt nennt Reuß auch, stellt ihn jedoch nicht in den Vordergrund. Man sei keine Wettbewerbsgruppe, ließe sich stattdessen beispielsweise für Firmen-Events buchen. Bewerberinnen gibt es genug, die "Dancers" veranstalten regelmäßig "Try Outs". Da wird den potenziellen Neueinsteigerinnen gleich klar gemacht, dass die Kleidung knapp ist und man sich darin erkennbar wohlfühlen müsse.

    Männliche Bewerber haben noch keine Chance

    Jungs hätten sich ebenfalls beworben für die Gruppe, die kürzlich in ihre zweite Saison gegangen wäre, wenn die Corona-Krise nicht aktuell für eine Zwangspause gesorgt hätte. Die Mädels hätten sich nach einigen Diskussionen dagegen entschieden. "Wir haben unter uns ein tolles Gruppengefühl. Und wir wollten nicht gleich polarisieren: Nicht jeder wird Männer in dieser Rolle gut finden", sagt Reuß. "Und mal ehrlich: Es ist schon schön, schöne Mädels anzuschauen."

    ... und mal deutlich angezogener mit langen Gymnastik-Hosen. Ein Blickfang sind die s.Oliver Dancers so oder so.
    ... und mal deutlich angezogener mit langen Gymnastik-Hosen. Ein Blickfang sind die s.Oliver Dancers so oder so. Foto: Heiko Becker

    In Eltmann (Lkr. Haßberge), wo die Oshino Volleys etliche Jahre Zweite Liga und zuletzt ein missglücktes in der Bundesliga gespielt haben, sieht das anders aus. Für die Sportart Volleyball absolut untypisch, schwingen dort zwar Mädchen und junge Frauen Pompons und Tanzbein. Doch zeigen sie, wie das auch ausschauen kann: wenig Show, viel Sport und viel Kleidung.

    "Meine Philosophie vom Cheerleading ist, dass die Mädels nicht rumrennen mit gerade mal bedeckter Brust", sagt Michaela Barthelmes. Sie hat vor fünf Jahren die "Black Diamonds" ins Leben gerufen, heute sind es 50 Mädchen. Nur kein Junge mehr: "Wir hatten einen, doch der hörte in der Pubertät auf, weil er von seinen Freunden gehänselt worden ist."

    "Meine Philosophie vom Cheerleading ist, dass die Mädels nicht rumrennen mit gerade mal bedeckter Brust."

    Michaela Barthelmes, Leiterin der Eltmanner Volleyball-Cheerleader "Black Diamonds"

    Barthelmes wünscht sich wieder Jungs, denn die sind bei Meisterschaften für schwerere Hebefiguren wichtig. Und zu Meisterschaften wollen die Schwarzen Diamanten sobald es ein geregelter Trainingsbetrieb nach der Corona-Krise zulässt. "Da braucht es ein Jahr Vorbereitung, das ist richtiger Mega-Sport."

    Die ersten Cheerleader in den USA waren Männer

    Die Ambitionen sind eng verknüpft mit der neuen Trainerin Theresa Valintis, die selbst Cheerleaderin war, wie auch ihr US-amerikanischer Mann, der etliche Preise abgeräumt hatte in seiner Heimat - dem Ursprungsland. Ende des 19. Jahrhunderts war Cheerleading an den Universitäten Männern vorbehalten. Frauen oder Schwarze durften nicht studieren, dementsprechend trieben nur weiße Männer Sport und wurden von weißen Männern organisiert angefeuert. Erst mit der umfassenden Öffnung der Unis zwischen den Weltkriegen veränderten sich Sport und Support - dann kamen zur optischen Untermalung die berühmten Pompoms, bunt glitzernde Puschelchen, hinzu.

    Kinder und Teenager mit Spaß an ein bisschen Show und normalen Kostümen. Die "Black Diamonds" feuern die Volleyballer des VC Eltmann an und wollen bald selbst auf Meisterschaften.
    Kinder und Teenager mit Spaß an ein bisschen Show und normalen Kostümen. Die "Black Diamonds" feuern die Volleyballer des VC Eltmann an und wollen bald selbst auf Meisterschaften. Foto: Michaela Barthelmes

    Barthelmes ist stolz auf ihre Mädels, von denen die Jüngste gerade Vier ist: "Im deutschen Volleyball sind wir einmalig, eine Sensation." Bei den unzähligen Auswärtsfahrten haben die Unterfranken bei den Gastgebern nie Kolleginnen gesichtet. Und inzwischen hat sich auch Kontinuität eingestellt im "Kader": Während anfangs die Mädchen, die mit 14 oder 15 angefangen haben, bereits mit 16 oder 17 wieder aufgehört hätten, "ist die jetzige Besetzung mit Herzblut dabei. Die leben fürs Cheerleading und stellen alles andere hinten an".

    Dass aus einfacher Anfeuerung Show wurde, ein Mix aus Entertainment und Sport, werde von vielen Zuschauern nicht verstanden, sagt Kristin Baginski, die selbst 20 Jahre Tänzerin war und heute die L.E. Dancers, eine reine Wettkampf-Cheerleading-Gruppe, trainiert. Die Leipziger sind seit 2019 amtierender deutscher Meister. Es komme in diesem Sport auf Vielseitigkeit an: Elemente aus dem Turnen würden kombiniert mit Ballett, Jazz- und Hip-Hop-Tanz. Für Baginski stellt sich ob dieses Anforderungsprofils beim Transfer des Sports in eine Pausen-Show nicht die Frage "ob man das abschafft, sondern: Zieht man den Mädels mal was an?" 

    Das "Baskets Danceteam", die Cheerleader des Basketball-Bundesligisten Telekom Baskets Bonn, präsentiert sich freizügiger als es die Darbietungen erfordern würden.
    Das "Baskets Danceteam", die Cheerleader des Basketball-Bundesligisten Telekom Baskets Bonn, präsentiert sich freizügiger als es die Darbietungen erfordern würden. Foto: imago

    Auch Dorothee Alfermann, Professorin für Sportpsychologie in Leipzig, beklagt die mangelnde Wahrnehmung des Cheerleadings als Sport: "Die hohen Anforderungen werden im Kontext einer Männersportart nicht wahrgenommen. Es verkommt zur Dekoration rund um das Spiel."

    Alfermann erforscht Geschlechterrollen im Sport und sagt weiter: "Männer haben das Bild des schneller, höher, weiter im Sport geprägt - und sind physisch den Frauen überlegen. In dieser Definition von Sport ist nur wenig Platz für schöne Bewegungen." Der Einsatz von aufreizender Kleidung bei Sportlerinnen und Cheerleaderinnen fördere nicht unbedingt die Akzeptanz deren Leistung, immerhin aber Aufmerksamtkeit. Frauen würden sich selbst degradieren, indem sie sich von diesem Teufelskreis einfangen ließen.

    Klares Statement aus der Fan-Kurve: Die Ultras des SC Freiburg zeigten, was sie von Sexismus im Sport halten - auch wenn der im Fußballsport längst nicht so offenkundig ist.
    Klares Statement aus der Fan-Kurve: Die Ultras des SC Freiburg zeigten, was sie von Sexismus im Sport halten - auch wenn der im Fußballsport längst nicht so offenkundig ist. Foto: imago

    Dass es ohne Cheerleading geht, haben im vergangenen Jahr die Bundesliga-Basketballer von Alba Berlin für sich beschlossen. Sie haben ihre Showtanz-Gruppe, die für sexy Outfits bekannten "Alba Dancers", aus dem Pausen-Programm genommen. Der athletische Wert ihrer Darbietungen war nicht respektiert worden, der Erotik-Faktor gleichwohl. Ausgerechnet der für den Sport zuständige CSU-Bundesinnenminister Horst Seehofer hatte daraufhin eine spektakuläre Idee: gemischte Tänzergruppen. "Wenn die Besetzung nur mit Frauen als nicht mehr zeitgemäß empfunden wird, könnten wir das verändern", erklärte Seehofer in einem Interview mit der "Bild am Sonntag". Hohn und Spott in sozialen Medien zeugten von wenig Vorfreude auf männliche Tänzer in engen Gymnastikhosen.

    Selbst in der Formel 1 hatte man es 2015 schon mal in Monaco versucht mit Grid Boys. Was dem deutschen Piloten Sebastian Vettel partout nicht in den Kram passen wollte: "Das Auto zu parken und auf den Hintern von einem George oder Dave zu gucken, das hat mir nicht gefallen." Dass er nicht zwingend auf einen Popo, ob nun männlich oder weiblich, schauen müsste, um schnell fahren zu können, das hatte man ihm offenbar nicht mitgeteilt.

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