Pauline Ziegler ist 86 Jahre alt, hat fünf Kinder und lebt alleine auf ihrem Hof in Gauaschach im Landkreis Bad Kissingen. Ihre Enkelin Eva wohnt mit ihren Eltern nur knapp 100 Meter von der Oma entfernt - und mitten in der Pandemie wurde sie 18. Die zwei Jahre mit Coronavirus, Lockdowns und Maßnahmen haben die beiden Frauen völlig unterschiedlich erlebt. Da habe es schon Meinungsverschiedenheiten gegeben, sagt Eva Ziegler. Ein Oma-Enkelin-Gespräch über Ausgangssperren und Frust, die Angst vor der Ansteckung, Fehler der Politik – und so manches Wortgefecht in der Familie.
Im Frühjahr 2020 gab es die ersten Corona-Fälle in der Region. Wie haben Sie das damals erlebt?
Eva Ziegler: Der erste Lockdown wurde kurz vor meinem 17. Geburtstag beschlossen. Deshalb habe ich nur mit zwei Freundinnen draußen auf der Wiese angestoßen. Natürlich war das blöd, man konnte nicht einmal mit der Familie richtig feiern. Außerdem war 2020 für mich das Abschlussjahr in der Realschule. Ausgerechnet zur Prüfungsvorbereitung mussten wir im Lockdown sechs Wochen lang zuhause lernen. Das war schwierig, Homeschooling war noch überhaupt nicht ausgereift. Ich denke, dass ich ohne Pandemie besser abgeschnitten hätte.
Und Sie, Frau Ziegler, woran erinnern Sie sich in den ersten Monaten mit Corona?
Pauline Ziegler: Man war damals verunsichert. Und tatsächlich bekam ich im November 2020 Corona. Ich hatte starken Husten und es ging mir wirklich schlecht, aber ich musste zum Glück nicht ins Krankenhaus. Die Kinder haben für mich eingekauft und nach mir geschaut. Aber es war schwer. Und im Dorf sind mir die Leute auch danach noch ausgewichen, als ich wieder gesund war.

Hatten Sie Angst?
Pauline Ziegler: Als ich krank war schon. Und auch insgesamt, weil man wenig über das Virus wusste. Alles war neu. Als bei mir das erste Mal ein PCR-Test gemacht wurde, da war ich geschockt. Das war in einer Teststrecke und alle Helfer trugen Masken und Kittel. Daran war man noch nicht gewöhnt.
Eva Ziegler: Das ging mir auch so. Als ich beim Testen die Menschen in Schutzkleidung plus Masken und Visiere gesehen habe, das war gruselig. Vor Corona selbst hatte ich aber keine Angst.
Und davor, andere anzustecken?
Eva Ziegler: Im ersten Corona-Winter habe ich mich relativ lange von der Oma ferngehalten. Ich habe nach dem Schulabschluss eine Ausbildung zur Verwaltungsfachangestellten begonnen und hatte zum Teil Praktika in Schweinfurt. Damals waren zwei aus meiner Ausbildungsklasse positiv und ich wollte die Oma nicht wieder anstecken. Insgesamt war ich fast zwei Monate nicht mehr bei ihr auf dem Hof.
Der Winter 2020 brachte einen fast sechs Monate langen Lockdown. Viele Menschen feierten einsame Weihnachten. Wie war das bei Ihnen?
Eva Ziegler: Im allerengsten Familienkreis, mit Mama, Papa und der Oma, haben wir gefeiert wie immer. Allerdings gehen wir normalerweise in die Kirche, das ist ausgefallen.
Von Weihnachten 2020 dauerte es bis Mai 2021, bis der Lockdown gelockert wurde.
Eva Ziegler: Das war hart. Ich war zwei Monate lang komplett daheim, saß von halb acht bis mittags um drei Uhr am PC und habe eigentlich nichts anderes mehr gemacht.

Hat der Austausch mit anderen Menschen gefehlt?
Pauline Ziegler: Ich habe viel telefoniert mit meinen Kindern. Rausgegangen, zu Nachbarn oder so, bin ich nie, da habe ich mich zurückgehalten. Ich habe die Zeit rumgebracht, habe gelesen und Fernsehen geschaut. Außerdem habe ich meinen Hof und den Garten. Ich baue selbst Salat, Gurken und Bohnen an, ziehe die Samen, pflanze. Da gibt es immer was zu tun.
Ist das etwas, was die ältere Generation besser kann: zuhause bleiben, alleine sein, sich beschäftigen?
Pauline Ziegler: Sicher ist das so. Die jungen Leute, die wollen mehr raus. Die konnten abends nicht feiern, in keine Disco. Ich bin alt, ich bin das Alleinsein gewohnt. Mein Mann ist vor 36 Jahren verunglückt und die fünf Kinder sind eins nach dem anderen ausgezogen. Ich bin schon lange alleine. Aber für die Jugend war das schwerer. Oder Eva?
Eva Ziegler: Klar. Oft bin ich am Freitagabend auf dem Sofa gelegen und hab' gedacht, man könnte jetzt so viel machen – darf aber nicht. Das war frustrierend. Es gab auch Tage, an denen ich alleine durchs Dorf spaziert bin. Da denkt man sich schon: Ist das jetzt der Sinn, dass ich jung bin und hier durch die leeren Straßen laufe?

Waren die politischen Maßnahmen zu streng?
Pauline Ziegler: Ich finde es gut, dass Menschen geschützt werden. Das ist wichtig. Allerdings halten sich viele nicht an die Regeln. Und ich denke, in der Stadt haben die Menschen mehr unter den Einschränkungen gelitten. Dort war das schlimmer als auf dem Land. Wenn man nur eine kleine Wohnung hat, ist es schwieriger als auf einem Hof. Hier war es nicht so eng.
Eva Ziegler: Da gab es aber in der Familie schon Meinungsverschiedenheiten. Nicht unbedingt mit der Oma, aber mit meinen Eltern. Es hieß manchmal: "Musst du jetzt unbedingt raus gehen und nach Schweinfurt, dort ist die Inzidenz so hoch?" Ich habe immer gesagt: "Ja, muss ich, weil ich es nicht mehr aushalte." Vor allem in der Zeit mit Homeschooling bin ich öfter mit den Eltern aneinandergeraten, weil man sich nicht aus dem Weg gehen konnte. Meine Mutter hat zuhause gearbeitet, der Papa ist sowieso auf dem Hof und dann war ich auch noch da. Da gab es manchmal laute Wortgefechte.
Wie war das im Gespräch mit Freunden? Herrscht in der ganzen Generation ein gewisser Frust, da viele Corona-Maßnahmen gerade die Jugend stark getroffen haben?
Eva Ziegler: Zum Teil sicher. Am Anfang hat man über Dinge wie Homeschooling und Ausgangsbeschränkungen noch gelacht und gesagt, da müsse man sich eben nicht mehr hübsch machen. Aber irgendwann wurde es zu viel. Ich habe nur noch meine beste Freundin gesehen, wir hatten keine Gesprächsthemen mehr. Urlaub war lange nicht möglich. Erst im Sommer 2021 habe ich spontan vier Tage Prag gebucht. Einfach, um endlich etwas anderes zu sehen.
Hat die Politik Fehler gemacht?
Eva Ziegler: Maßnahmen waren schon wichtig, auch harte Maßnahmen, aber ein bisschen Freiheit braucht man auch. Dass man das Haus zeitweise nach neun Uhr nicht mehr verlassen durfte, das habe ich nicht verstanden. Da ist man dann um fünf vor neun nach Hause gerannt, weil man Angst hatte, dass die Polizei kommt. Generell hätte ich mir gewünscht, dass man bei den Maßnahmen geplanter vorgegangenen wäre. So hatte man oft das Gefühl, entweder gar nichts ist erlaubt oder plötzlich alles. Eine langfristigere Perspektive wäre wichtig gewesen.
Pauline Ziegler: Mir hat das nichts ausgemacht.
Eva Ziegler: Du bist da ja auch abends immer zuhause. Für dich war es einfacher.

Hatten Sie bei Treffen mit Freunden oder in der Schule nie Sorge, sich anzustecken?
Eva Ziegler: Die Eltern hatten mehr Angst als ich. Und die Schule ist sowieso das reinste Corona-Paradies mit den vielen Ansteckungen. Ich habe eigentlich immer gedacht, ich bekomme das nicht.
Eigentlich?
Eva Ziegler: Mitte Februar 2022 habe ich mich infiziert. Ich bin drei Mal geimpft und trotzdem hatte ich starke Symptome. Das war bitter. Ich lag drei Tage mit Hals- und Kopfschmerzen und Husten im Bett.
War das ein Thema in Ihrer Familie, impfen ja oder nein?
Eva Ziegler: Bei mir gab es anfangs ziemliche Meinungsverschiedenheiten mit meinen Eltern. Beide haben sich früh impfen lassen. Ich war unsicher.
Warum?
Eva Ziegler: Nach der Impfung waren fast alle Mitschüler krank. Das wollte ich erst nicht und das haben meine Eltern nicht verstanden. Irgendwann habe ich mich doch dafür entschieden, ehrlicherweise vor allem, um normal weiterleben zu können. Jetzt bin ich froh, dass ich es gemacht habe. Ich weiß ja nicht, ob ich ungeimpft noch viel schwerer krank gewesen wäre.

War Ihre eigene Infektion das eindrücklichste Erlebnis in der Pandemie?
Eva Ziegler: Ja, das war schlimm. Als ich die beiden Striche auf dem Test gesehen habe, konnte man den ganzen Tag nichts mehr mit mir anfangen. Ich habe mich in meinem Zimmer verkrochen und mit meinen Freunden gefacetimet – und versucht, keinem in der Familie nahe zu kommen. Aber es ist schon heftig, wenn deine Mutter nur noch mit Maske in dein Zimmer kommt.
Und was werden Sie nie vergessen, Frau Ziegler?
Pauline Ziegler: Die vielen Leute die gestorben sind, das ist schon bedenklich. Jeden Tag so viele Tote.

Aktuell stehen die Zeichen dank Omikron bundesweit auf Lockerungen. Ist das aus Ihrer Sicht richtig?
Pauline Ziegler: Bei uns im Dorf sind im Moment viele Leute krank. Das war schon lang nicht mehr so. Ich denke, sie sollten noch aufpassen.
Eva Ziegler: Ich finde Lockerungen gut. Aber man sollte nicht alles auf einmal abschaffen und irgendwann wieder dicht machen.
Pauline Ziegler: Sie sagen ja, dass die Zahlen im Herbst wieder steigen. Da sollte man lieber vorsichtig bleiben. Gut wäre für mich, wenn endlich die Maske wegfallen würde. Dadurch kriege ich keine Luft.
Was glauben Sie: Wann wird das Leben wieder wie vor der Pandemie?
Pauline Ziegler: Das wird noch lange dauern.
Eva Ziegler: Also, da muss ich der Oma jetzt mal recht geben.